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05/24 Städtische Verdichtung

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«Vielen Berufsbildnern fehlt das pädagogische Rüstzeug»

Ein neues nationales Weiterbildungsprogramm hilft den Berufsbildnerinnen und -bildnern in allen Branchen, die heutige Jugend besser zu verstehen und Lernende zu motivieren. Im Interview erklärt Thomas Rentsch, Initiator des Programms, welche Erkenntnisse er aus einer grossen Umfrage gezogen hat und wie sich die Rolle der Berufsbildenden verändert.

Interview Nicolas Gattlen Bilder HBCH, zVg


Herr Rentsch, die betriebliche Bildung wird gern als «das Herz der Berufsbildung» bezeichnet und gilt als entscheidender Faktor, um die jungen Leute im Betrieb oder im Metier zu halten. Nun aber zeigt Ihre branchenübergreifende Umfrage bei mehr als 5000 Schweizer Berufsbildnerinnen und -bildnern, dass es um die betriebliche Bildung nicht ganz so gut steht. Wo drückt der Schuh?
Thomas Rentsch: Viele Berufsbildende haben Mühe, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Rund drei Viertel gaben an, dass sie zu wenig Zeit zum Ausbilden haben. Auch wird ihre Rolle als Ausbildner nicht richtig anerkannt. In den Stellenbeschrieben und Mitarbeitendengesprächen etwa ist sie selten ein Thema; es kommt sogar vor, dass die Vorgesetzten nicht einmal wissen, dass der zu beurteilende Mitarbeiter für die Bildung verantwortlich ist. Und nur selten wird die so wichtige Arbeit der Berufsbildenden angemessen entschädigt. Diese mangelhafte Anerkennung hängt auch mit den eher dürftigen gesetzlichen Vorgaben zusammen.


Wie meinen Sie das?

Um eine Ausbildungsbewilligung zu erhalten, reicht es aus, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin einen 40-stündigen Berufsbildnerkurs besucht. Auch grössere Betriebe mit fünf oder sechs Ausbildenden schicken oft nur eine oder zwei Personen in den Kurs. Und einmal erworben, ist die Bewilligung über viele Jahre gültig. Wiederholungskurse sind gesetzlich keine vorgesehen. Problematisch ist zudem, dass die Mindestqualifikationen, welche in diesen Kursen vermittelt werden, in den letzten 20, 30 Jahren nicht an die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse und Werte angepasst wurden. Das führt uns zum nächsten zentralen Problem: Viele Berufsbildnerinnen und Berufsbildner haben Mühe, die heutige Jugend zu verstehen. Und ihnen fehlt das pädagogisch-psychologische Rüstzeug, um mit den jungen Leuten ans Ziel zu kommen.

Die alten Rezepte funktionieren nicht mehr?

Nein. Die Rolle der Berufsbildenden ist im Wandel: vom autoritären Lehrmeister zum Begleiter oder – wie ich es gern nenne – zum Ermöglicher von Erfolgserlebnissen. Nehmen wir einen jungen Mann, der von der Schule in die Arbeitswelt einsteigt, eine für ihn fremde Welt mit womöglich anderen Werten, als er sie von zuhause kennt, und mit Verbindlichkeiten, die er nicht gewohnt ist. Sein Selbstvertrauen dürfte in dieser neuen Welt zunächst eher gering sein. Nichts ist wie vorher. Ein autoritärer Führungsstil wird sicher nicht dazu beitragen, dass das Selbstvertrauen des jungen Mannes wächst. Vielleicht baut er sich dann ein künstliches Selbstvertrauen auf, das ihn nicht weiterbringt oder ihm gar schadet. Wenn man den jungen Mann aber dort abholt, wo er ist, wenn man seine Fähigkeiten und Talente erkennt, ihm zutraut, dass er eine Aufgabe weitgehend alleine mit passender situativer Unterstützung löst und ihm so Erfolgserlebnisse ermöglicht, wird er Mut und Selbstvertrauen schöpfen.

Man muss den Lernenden doch zeigen, wie sie die Arbeiten auszuführen haben.

Die Methode «vormachen – nachmachen» ist in vielen Fällen nicht förderlich. In diesem Schema ist der Vorführer der Held, während der Nachmacher das Gefühl hat, dass er noch gar nichts kann – obschon er durchaus über Fähigkeiten verfügt. Das Erfolgserlebnis ist viel grösser, wenn der Lernende selbst eine Lösung findet. Die grosse Herausforderung für die Ausbildenden besteht darin, dass sie den Lernenden die richtige Challenge geben. Diese soll nicht zu einfach, darf aber auch nicht zu schwer sein. Findet der Lernende eine Lösung, wird ihn das mit Stolz erfüllen. Er wird sich sodann an grössere Aufgaben wagen und sich immer stärker mit seinem Beruf und seinem Betrieb identifizieren.

Sie haben bereits 2014 für den Verband Carrosserie Suisse ein Unterstützungssystem für die Berufsbildnerinnen und -bildner geschaffen. Die Stiftung TOP-Ausbildungsbetrieb hat das System für alle Branchen geöffnet und damit ein national anerkanntes Label aufgebaut. Nun haben Sie im Rahmen der nationalen Initiative Berufsbildung 2030 ein neues Weiterbildungssystem für Ausbildungsbetriebe entwickelt. Warum?

Unsere freiwilligen Weiterbildungskurse und Coachings haben sich in der Praxis bewährt. Die Handwerker mussten sich zwar zuerst mit dem Gedanken vertraut machen, dass sie sich nicht in der vertrauten Materie, sondern in der Ausbildungsthematik weiterbilden, doch zeigten sie nach dem Überwinden dieser ersten Hemmschwelle viel Offenheit und Dankbarkeit. Das hat sich herumgesprochen. Wir erhielten Anfragen, ob nicht auch Betriebe anderer Berufe unser Angebot nutzen könnten, und haben 2021 das branchenübergreifende Projekt «Stärkung der betrieblichen Ausbildungskompetenz» gestartet. Die Probleme sind ja in vielen Branchen und Unternehmen dieselben: Man hat Mühe bei der Rekrutierung von geeigneten Lernenden und ist mit Lehrabbrüchen sowie Austritten von jungen Fachkräften konfrontiert. Gerade das Handwerk ist stark betroffen.

Das neu entwickelte Bildungsprogramm umfasst zehn Tageskurse, die sich an Berufsbildnerinnen und -bildner richten, sowie ein Webinar für das Kader.

Es ist wichtig, dass die Geschäftsleitung das Thema «betriebliche Bildung» unterstützt. Zu viele Unternehmen überlassen es einem einzelnen Ausbildner oder einer Ausbildnerin. Deshalb haben wir ein zirka zweistündiges Webinar fürs Kader entwickelt. Die anderen zehn Kurse nehmen jeweils eines der zehn Hauptbedürfnisse auf, welche aus der bereits erwähnten Umfrage hervorgegangen sind, etwa das bessere Verständnis für die Generation Z, pädagogische Methoden oder die psychische Gesundheit. Auch die Lernenden haben wir einbezogen. Im Kurs «gemeinsam stark» definieren Berufsbildende und Lernende gemeinsam ihre Rollen und Ziele.

Wurden die Kurse bereits evaluiert?

Ja. Wir haben alle Kurse bereits zweimal durchgeführt. Es gab insgesamt etwa 300 Anmeldungen aus den verschiedensten Branchen: von der Holzindustrie bis zur Hotellerie. Auch bezüglich der Grösse der Unternehmen war das ganze Spektrum vertreten. Dabei zeigte sich, dass es die Teilnehmenden schätzen, wenn sie nicht nur unter ihresgleichen sind und sich mit Leuten aus anderen Branchen austauschen können. Wir haben die Kurse so aufgebaut, dass sie grundsätzlich für alle Branchen funktionieren. Sie lassen sich aber auch auf eine Branche spezifizieren oder, was ich sinnvoll fände, auf eine Gruppe wie zum Beispiel auf die handwerklichen Berufe.
 
Ab wann können die Kurse besucht werden?

Die Dokumente sind ab Spätherbst 2024 bereit. Die Stiftung TAB (TOP-Ausbildungsbetrieb) wird die Kurse ab Anfang 2025 anbieten, und wir wünschen uns, dass auch andere Bildungsinstitutionen, die Kantone und die Verbände die Kurse in ihr Weiterbildungsprogramm aufnehmen.