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01/2023 Tanz unter Trapezbindern

BAUEN

Im Koffer drei Häuser

Anfang August stach ein Schiff mit wertvoller Ladung in See. Der Frachter pflügte sich durch die Wellen der Nordsee bis nach Reykjavik, der Hauptstadt Islands, und weiter um die Insel herum nach Reyðarfjörður, einem Hafen im Osten des Landes. An Bord drei Container aus der Schweiz. Absender: die Beer Holzbau AG.

Text Sue Lüthi Bilder und Pläne Beer Holzbau AG, Mats Wibe Lund

 

In Egilsstaðir, wenig südlich des Polarkreises, ist es rau und windig. Oberhalb des langgestreckten Lagarfljót-Sees wurden drei Container mitten auf der grünen Wiese abgelegt. Dort warteten sie auf die Crew, die ihren Inhalt entfalten würde. Das Grundstück gehört seit Januar 2022 Isabelle und Steff Felix, einem Schweizer Ehepaar, das seine Zelte hierzulande abgebrochen hat, um auf der nordischen Insel Fuss zu fassen. Sie eröffneten am 15.5.2022 die Hengi­fosslodge am Lagarfljót. Um ihre Lodge zu erweitern, haben sie vor ihrer Abreise bei der Beer Holzbau AG drei Tiny-Häuser bestellt. Heinz Beer, Geschäftsführer des Holzbauunternehmens in Ostermundigen (BE), reizte der Auftrag. Der Gedanke, die Arbeit mit einer Reise zu kombinieren, gefiel ihm. Für die Kalkulation fehlten ihm zwar Erfahrungswerte, doch er ergänzte seine Holzbauberechnung mit einer Prise Abenteuergeist, offerierte einen fixen Pauschalpreis und hoffte, dass die nordischen Götter sein Vorhaben unterstützten. Der Transport über Flüsse, Meer und Land sowie eine Mannschaft draussen im wechselhaften Nordwetter bargen doch einige Unsicherheiten.


Die Montage-Crew reiste in zwei Gruppen an: Vorarbeiter Daniel Wanzenried, Zimmermann Lars Glauser und Lehrling Samuel Helfenstein auf dem Luftweg, das Geschäftsführerpaar Heinz Beer und Elisabeth Beer mit einem Kleinbus über Dänemark mit der Fähre. Die Bauherrschaft hatte in Zusammenarbeit mit dem regionalen Architekten Snidda Arkitektastofa, Egilsstaðir bereits die Baubewilligung eingeholt, die Streifenfundamente vorbereitet und sich um die Wasser- und Elektroanschlüsse gekümmert. Angekommen bei den Containern, konnten die Schweizer Zimmerleute gleich damit starten, den Inhalt der Container in drei Häuser zu verwandeln.


«Im Vorfeld habe ich jeden Tag genau geplant und Arbeitspakete erstellt», beschreibt Heinz Beer sein Bauprogramm. Er teilte die drei Männer plus sich selbst in Gruppen ein: für die Montage die «Crew Island» – alle vier –, für die Fertigstellung «Team 1» und «Team 2» bestehend aus je zwei Leuten. Die Fertigstellung bestand aus Arbeiten wie Unterdach erstellen, Fassaden ergänzen oder schrauben und verkleben. Die Ausführung hatte er im Vorfeld detailliert mit allen besprochen, so dass jeder die Pläne genau kannte.


Reiseplanung für ein Haus

Der Auftrag umfasste drei Einzelhäuser, zwei kleine und ein grösseres. Ihre Auffälligkeit ist das steile Dach mit nur einem Meter Kniestockhöhe. Ein Anbau mit Windfang ist seitlich angedockt. Die Häuser sollen nach Fertigstellung an Feriengäste vermietet werden. Das Ehepaar Felix bietet bereits drei Appartements an, zwei davon konnte das Montageteam während seines Aufenthalts benutzen. Ausserdem wurde das Team von der Bauherrschaft bekocht und verpflegt.


Heinz Beer hatte die Häuser in seinem Betrieb geplant und im höchstmöglichen Mass vorgefertigt. Der Auftrag beinhaltete die aussen fertige Gebäudehülle inklusive Fassade, innen die rohe Oberfläche, das Dach und die Spenglerarbeiten. Schweizer Spengler hatten die Bleche und eine detaillierte Montageanleitung vorbereitet. Ferner waren im Reisepaket der Kamin, ein Balkon, die Türen und Fenster, die fertige Treppe und das Geländer. Den Innenausbau wünschte der Bauherr selbst auszuführen: die Nasszellen und die Haustechnik sowie die inneren Verkleidungen. Mit der Vorproduktion der drei Häuser (Aussenmasse 6,60 × 4,40 m) im Werk Ostermundigen waren drei Mitarbeitende einen Monat beschäftigt.

In der Welt der Frachtcontainer
Nach dem Entpacken der Container ging es gleich los mit dem Einmessen und Schwellen Setzen. Der Laser war im Handgepäck mitgeflogen und ein paar Handmaschinen stellte der Bauherr zur Verfügung. Die Beers hatten in ihrem Kleinbus ebenfalls Handmaschinen und Hilfsmaterial mitgebracht. Werkzeuge müssen mit einem Carnet ATA (Admission Temporaire) deklariert werden. Dieses internationale Zollpapier dient der vorübergehenden Ein- und Ausfuhr von Waren. Jedes Werkzeug wird mit seinem Wert und seinem Gewicht registriert.


70 Prozent des Wertes muss der Unternehmer bei der Handelskammer hinterlegen und kann das Pfand nachher zurückfordern. Überhaupt spielte das Gewicht und die Gewichtsverteilung eine grosse Rolle: Die Container (12,2 × 2,45 × 2,60 m) sollten – wie ein Frachtschiff – ausgeglichen beladen sein. Dafür ist der Unternehmer verantwortlich. Die gemieteten Container werden geliefert und nachher vom Transportunternehmen wieder abgeholt. Anschliessend treten sie einzeln in das weltweite System der Verfrachtung und folgen dessen Regeln. So fuhren sie auf den Strassen bis Rotterdam, weil der Rhein zu wenig Wasser führte, und von dort per Frachter nach Reykjavik. Danach bestimmte ein weiteres Transportunternehmen, die Ladung per Schiff um die Insel zum Endhafen zu führen – die Alternative wäre eine neunstündige Fahrt mit drei Lastwagen quer durch das Land der Vulkane und Flüsse gewesen. Vom Hafen Reyðar­fjörður bis zum Bauplatz folgte ein kurzes Wegstück mit Spezialcamions, diese verfügen über einen Kran und können die Container gleich selbst auf- und abladen.


«Diese Auslandserfahrung ist für uns enorm wertvoll», sagt Heinz Beer. «Jetzt wissen wir, wie ein solcher Transport inklusive Verschiffen läuft und was an Containermiete, Hafengebühren oder Zollvorschriften anfällt. Die Formalitäten sind ein Papiertiger, das war sehr aufwendig.» Doch die Papiere erhielten ihren Stempel und die Fracht reiste in dreieinhalb Wochen zu ihrem Bestimmungsort. Die Kosten für den Transport, die Flüge und Fähren sowie für Kost und Logis der Crew beliefen sich schlussendlich auf etwa 20 Prozent der Holzbaukosten.


Durchgeplant wie eine Expedition

Zurück auf die grüne Wiese: «Beim Aufrichten konnten wir die Toleranzen der Fundamente von 3 bis 4 Zentimetern mit dem Auflager gut auffangen», sagt Beer. «Wir waren insgesamt sehr flexibel, weil die Häuser autonom stehen und wir keine anderen Gewerke zu berücksichtigen hatten. Wir haben zum Beispiel das gute Wetter genutzt und gleich zwei Häuser nacheinander aufgerichtet.» Der Wettergott Thor war den Schweizern wohlgesonnen und zeigte viel blauen Himmel und wenig Regen. Morgens herrschten kühle 5 Grad, doch nachmittags war bei 15 Grad ein T-Shirt angesagt. An 15 Arbeitstagen haben die vier Männer oft zehn Stunden gearbeitet, jeweils zwischen 7.00 und 18.30 Uhr. «Das bietet sich an, wenn die Wohnung gleich neben der Baustelle liegt», sagt Beer. Dafür hätten sie Ende Woche Zeit kompensiert, um gemeinsam auf Entdeckungstour zu gehen. In die Planung musste aber auch schlechtes Wetter einkalkuliert werden: Nach dem Aufrichten folgte gleich die fertige Dachabdichtung, damit die Häuser schnell im Trockenen waren. «Es hätte auch drei Wochen regnen können», sagt Heinz Beer. Darum habe er für diese Arbeit drei Mitarbeiter gewählt, die das Wetter aushalten und für Montagearbeiten motiviert sind. «Das ist nicht jedermanns Sache», sagt der erfahrene Zimmermeister.


Braucht ein solches Vorhaben mehr Vorbereitungszeit? «Normalerweis planen wir nicht in dieser Tiefe», sagt Heinz Beer. Er sieht darin eine grosse Chance: Das Herunterbrechen auf das kleinste Detail legt die Problemstellen offen. Ebenso bei den Arbeitsabläufen: «Mit klar definierten Zielen und Zeitfenstern für jeden Mitarbeiter läuft es einfach rund.» Auf die Frage, warum nicht alle Projekte so pedantisch geplant werden, sagt Beer: «Weil wir uns die Zeit dafür nicht nehmen. Hätten wir die drei Häuser in Bern gebaut, hätte ich nicht mit drei Männern zwei Stunden alles vorbesprochen. Wir kennen ja unsere Arbeit. Geht einmal etwas vergessen, können wir es am nächsten Tag mitnehmen.» Das ging bei der Hengifosslodge nicht. Allein die Fahrt ins nächste Dorf dauert dort eine Dreiviertelstunde. Also war Improvisation mit dem Vorhandenen angesagt, erklärt Beer.


Die detaillierte Planung hat sich gelohnt: Alles lief einwandfrei. Nur ein kleines Fenster ging zu Bruch und ein paar Schrauben haben gefehlt. Ersatz für das Fenster konnte in einem Ort in Island bestellt und die Schrauben im Baumarkt besorgt werden. Zum Abschluss erklommen die vier Zimmerleute den 1833 Meter hohen Snæfell, wo Odin und Thor just in dem Moment die Nebelschwaden aufrissen, als die «Crew Island» den Gipfel erreichte. Heinz Beer ist begeistert: «Der Gewinn aus diesem Erlebnis ist einmalig.»
beer-holzbau.ch, hengifosslodge.is

Kein Holz auf Island

Auf Island wächst kein Bauholz. Wegen des Klimas und der Topografie herrschen dort schlechte Wachstumsbedingungen. Vor allem Moorbirken halten Wind und Wetter stand. Früher galten 40 Prozent der Landesfläche als bewaldet, doch die Norweger, die 874 n. Chr. das Land besiedelten, fällten schonungslos die Bäume und nutzten das Holz. Schon bald war das ganze Land, bis auf einzelne Reservoirs, vollständig entwaldet. Aus diesem Grund sind wohl auch die Holzbauberufe hier rar. Die Aufforstungsprogramme der letzten hundert Jahre mit robusten Nadelbäumen haben dafür gesorgt, dass heute zwei Prozent der Landesoberfläche mit Wald bedeckt sind. Mit einer Bevölkerung von 380 000 Einwohnerinnen und Einwohnern beziehungsweise 4 pro Quadratkilometer ist Island der am dünnsten besiedelte Staat Europas.


Tiny-Häuser, Island

Projekt: Neubau von drei Ferienhäusern, Egilsstaðír(IS)
Bauherrschaft: Isabelle und Stefan Felix, Egilsstaðír
Realisation: Juli bis September 2022
Architektur: Beer Holzbau AG, Ostermundigen (BE)
Baueingabe in Island: Snidda Arkitektastofa Egilsstaðir
Holzbau: Beer Holzbau AG, Ostermundigen
Totalunternehmung: Beer Holzbau AG, Ostermundigen
Anschlüsse und Innenausbau: der Bauherr
Kosten: Der Transport der Häuser und die Spesen für die vier Mitarbeitenden (4 Wochen Island) betrugen rund 20 Prozent des Gebäudepreises, Offerte als Pauschale